Künstler:innen: Toby Binder (*1977, DE), Werner Bischof (1916-1954, CH), Katharina Bosse (*1968, FI), Alexander Chekmenev (*1969, UA), EXPORT/Weibel (*1940, AT/ *1944, UA/AT), Gudrun Kemsa (*1961, DE), Helen Levitt (1913-2009, US), Herbert List (1903-1975, DE), Valérie Jouve (*1964, FR), Will McBride (1931-2015, US), Duane Michals (*1932, US), Stefan Moses (1928-2018, PL/DE), Tod Papageorge (*1940, US), Sebastian Riemer (*1982, DE), Judith Joy Ross (*1946, US), Eva Rubinstein (*1933, PL/US), Christer Strömholm (1918-2002, SE), Thomas Struth (*1954, DE), Ira Vinokurova (*1975, RU)
Die Fotografie verschafft durch ihre unmittelbare Bildsprache die Teilhabe am subjektiven, künstlerischen Blick auf Mensch, Landschaft und Gesellschaft. Ihre fragmentierte Wirklichkeit fungiert als eigenständige thematische und künstlerische Darstellung und als Assoziationsangebot an die Betrachter:innen. Die Fotografieausstellung "Menschen auf der Straße" im Märkischen Museum Witten konzentriert sich inhaltlich auf die Straße als Lebensraum und Ort für soziale Interaktion. Sie ist Austragungsort für Performance und politische Motiviertheit. Auf ihr ist die Vielschichtigkeit menschlicher Existenz erlebbar und wird somit Spiegel der Gesellschaft.
In der Ausstellung werden insgesamt 19 Künstler:innen präsentiert. Das Zentrum der Ausstellung bilden zwei umfangreiche Serien der Fotografen Thomas Struth und Toby Binder. Thomas Struth, Initiator und Betreuer des Fotografieprojektes „Obdachlose fotografieren Passanten“, 2004 lässt Menschen von der Straße fotografisch ihre Umgebung analysieren und somit deren Interaktion durch die Kamera festhalten. Die Ergebnisse der Expedition sind so unterschiedlich wie die Lebensgeschichten der Beteiligten. Sie geben viele Details über die Verletzlichkeit in der Peripherie preis, ohne düster oder deprimiert zu wirken. In diesen Arbeiten wird eine andere, sehr individuelle Wirklichkeit aufgezeigt, die wir als gewöhnliche Passanten vielleicht nicht wahrnehmen können.
Toby Binder zeigt fotografische Auszüge in schwarz/weiß aus seiner Langzeitdokumentation „# 53 kids“, 2021/2022. Während der Pandemie litten besonders junge Menschen aus sozial benachteiligten Stadtteilen unter den Lockdown-Maßnahmen. Binder dokumentiert und reflektiert fotografisch das Leben von Jugendlichen und wirft Fragen zur sozialen Ungerechtigkeit, Identität und Zugehörigkeit auf. Ihr wichtigster Ort und Lebensraum ist die Straße, ein Ort des Austauschs und der Selbstdarstellung. Während die Jugendlichen oft weder das Heimatland ihrer Eltern kennen, noch sich in Deutschland akzeptiert fühlen, nutzen sie die Ziffern 053, die Postleitzahl von Duisburg-Hochfeld zur Identifikation; die # 053 kids. Das stetig weitergeführte Fotografieprojekt besteht aus erzählerischen Reportagebildern und eindringlichen Porträts.
Darüber hinaus werden sehr konkret, aber auch aus einer subtilen Perspektive Themen künstlerisch beleuchtet, die die Straße als Lebens- und Aktionsort betreffen. Eine besondere Auswahl von Werken internationaler und fotografiehistorisch bedeutsamer Künstler:innen lädt zur Betrachtung ein und verweist auf die Vielschichtigkeit in Inhalt und Erzählung der Straße als sozialer Raum.
In der umfangreichen Serie „Protest the War“ 2006/2007 porträtiert die amerikanische Fotografin Judith Joy Ross Menschen unterschiedlichen Alters und Sozialisierung, die gemeinsam auf die Straße gegangen sind, um gegen den Krieg im Irak zu protestieren. Seit Anfang der 1980er Jahre widmet sich die Künstlerin der Porträtfotografie mit einfühlenden, authentischen Bildern von Menschen aus der Mitte der amerikanischen Gesellschaft.
Es freut uns auch sehr, mit Helen Levitt eine der herausragendsten Künstlerinnen der New Yorker Street Photography im Märkischen Museum präsentieren zu können. Ihre ikonischen Fotografien spielender Kinder auf der Straße sind weltweit bekannt und in den wichtigsten Kunstsammlungen vertreten.
Nachdenklich stimmen die Fotografien von Eva Rubinstein, von der unter anderem eine Aufnahme einer menschenleeren, spätgotischen Passage in Jerusalem ausgestellt ist. In diesem Werk ist einerseits die historische Präsenz der Passanten und Individuen spürbar. Andererseits verdeutlicht es die Unfassbarkeit des Flüchtigen und Historischen. So wie der Mensch den architektonischen und städtischen Raum benötigt, brauchen auch die Gebäude den Menschen. Beides vergeht ohne einander und nichts ist von Dauer.
Der ukrainische Künstler Alexander Chekmenev hat bereits 2018 im Märkischen Museum Witten ausgestellt und unserem Hause eine großzügige Schenkung übergeben. Aus aktuellem Anlass und aus Solidarität mit der Ukraine haben wir uns kurzfristig entschlossen, einige Werke des Künstlers in diese Ausstellung zu integrieren.
Für die großzügige Unterstützung durch Leihgaben bedanken wir uns bei: fiftyfifty Straßenmagazin & Galerie, Kunststiftung DZ BANK, Frankfurt a.M., Düsseldorf, Galerie Bernd A. Lausberg, Düsseldorf, Galerie Thomas Zander, Köln, Galerie Clara Maria Sels, Düsseldorf, Galerie Setareh, Berlin/Düsseldorf, Museum DKM, Duisburg und dem Museum Folkwang, Essen.