Geflohen 1939 vor den Nazis, kehrte George Wolff am vergangenen Freitag nach Witten zurück. Bis heute ist er der Stadt, in der er seine ersten fünf Lebensjahre verbracht hat, verbunden. Deswegen war es ihm ein besonderes Anliegen, Schüler*innen und Studierenden seine Geschichte zu erzählen. Auch seinen 88. Geburtstag verbringt Wolff in Deutschland. „Wenn mein Überleben des Holocausts einen Zweck hatte, war es, der Welt zu sagen, dass solche unsagbaren Grausamkeiten niemals wieder geschehen dürfen“, so George Wolff in Witten – in der ersten Rede, die er in seiner Muttersprache hielt.
Schon seit 1989 besteht der Kontakt zwischen George Wolff und Dr. Martina Kliner-Fruck, der Leiterin des Wittener Stadtarchivs. Entsprechend emotional war auch die Begrüßung am Wittener Bahnhof. Wolff war mit seiner Tochter, seinem Schwiegersohn und seiner Enkelin angereist.
Sein erster Termin führte George Wolff auf den jüdischen Friedhof, wo er das Grab seines 1929 gestorbenen Großvaters Julius Rosenbaum besuchte.
Stolpersteine vor dem Elternhaus
Im Anschluss ging es dann zu seinem Elternhaus sowie zum Geburtshaus seiner Mutter. Im Jahr 2015 waren vor seinem Elternhaus in der Mozartstraße 12 Stolpersteine verlegt worden, darauf die Namen Nelly Katz – seine Mutter – und Heinz-Günther Katz, so der Name von George Wolff, als er noch in Deutschland lebte, sowie seiner Großmutter Rosa Rosenbaum. Mutter und Sohn flohen 1939 aus Witten, versteckten sich zunächst in Berlin, zeitweise wurde George Wolff von seiner Mutter getrennt. Nach dem Krieg emigrierten beide dann in die Vereinigten Staaten. Mit viel Glück und dank zahlreicher Helfer*innen hat er also überlebt – ein Glück, das nicht alle Familienmitglieder hatten.
Treffen mit Schüler*innen und Studierenden
Schließlich das Treffen mit Schüler*innen und Studierenden aus Witten, bei dem ihn auch Bürgermeister Lars König begrüßte. Die Schüler*innen verschoben gerne ihren Start in die Sommerferien, um von der beeindruckenden Lebensgeschichte von George Wolff zu erfahren. „Ihr und Eure Generation haben keine Schuld an den Geschehnissen vor 80 Jahren. Ihr würdet Euch jedoch schuldig machen, wenn Ihr die Tatsache des Holocausts verleugnen oder wenn Ihr es versäumen würdet, die Verzerrung oder Leugnung zu korrigieren“, so George Wolff zu dem jungen Publikum.
„Es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen des Holocaust. Deswegen bin ich froh und stolz, dass George Wolff, mit dem ich seit vielen Jahren einen sehr angenehmen Kontakt habe, hier in seiner Heimatstadt Witten aus seinem Leben erzählt hat“, so Dr. Martina Kliner-Fruck. Für den US-Amerikaner ist es eine emotional und körperlich anstrengende Reise, die ihm aber zugleich so wichtig ist, dass er auch seinen 88. Geburtstag am 27. Juni in Deutschland feiert. Martina Kliner-Fruck: „Ich gratuliere George Wolff herzlich zu seinem Geburtstag und bin froh, dass wir uns endlich einmal persönlich getroffen haben!“
Rede von George Wolff vor den Schüler*innen und Studierenden
Guten Tag liebe Schüler und Schülerinnen, sehr geehrte Damen und Herren!
Obwohl Deutsch meine Muttersprache war, viele Jahrzehnte sind vergangen, seit ich es das letzte Mal gesprochen habe, also hoffe ich, dass Sie mir verzeihen, wenn einige meiner Aussprachen nicht richtig klingen. In jedem Falle, in meinem Alter sollte man keine langen Reden halten, deshalb also nur wenige Worte, die dennoch von Herzen kommen:
Wenn mein Überleben des Holocausts einen Zweck hatte, war es, der Welt zu sagen, dass solche unsagbaren Grausamkeiten niemals wieder geschehen dürfen. Holocaust-Überlebende wie ich erinnern sich an das Leid und die Vernichtung von vor acht Jahrzehnten, und sehen in der ruchlosen Grausamkeit, die Vladimir Putin in der Ukraine begeht, einen Versuch, jene dunkle Periode der Geschichte zu wiederholen. Weil Untätigkeit und Schweigen Mitschuld bedeuten kann, hat die zivilisierte Welt erkannt, dass der einzige Weg zu verhindern, dass sich die Geschichte wiederholt, ist, sie damit zu konfrontieren. Ich bin froh sagen zu können, dass in diesem Krieg Deutschland auf der richtigen Seite der Geschichte steht.
Trotzdem, wenn wir weltweite Nachrichten anschauen und lesen, ist es beunruhigend festzustellen, dass die Geschichte des Holocausts manchmal verzerrt dargestellt oder sogar verleugnet wird. Während die Erinnerungen verblassen und diese dunkle Zeit weiter in den Hintergrund tritt, ist der Versuch, den Holocaust abzustreiten oder zu verzerren, nicht nur beleidigend für die Überlebenden, sondern auch gefährlich für junge Menschen. Weil diese weit entfernt von diesen dunklen Zeiten vor mehr als 80 Jahren leben, sind sie mehr gefährdet, Desinformationen irrtümlich als Wahrheit zu akzeptieren. Daher möchte ich bei meinem Besuch in Witten, wo ich meine ersten fünf Lebensjahre verbrachte, zu den jungen Leuten von heute sagen: Ihr und Eure Generation haben keine Schuld an den Geschehnissen vor 80 Jahren. Ihr würdet Euch jedoch schuldig machen, wenn Ihr die Tatsache des Holocausts verleugnen oder wenn Ihr es versäumen würdet, die Verzerrung oder Leugnung zu korrigieren. Lasst Euch nicht irreführen, entscheidet Euch stattdessen dafür, die Wahrheit und die wichtige, in den Fakten enthaltene Botschaft zu akzeptieren. Ich möchte multiplizieren und verwenden die Worte von Präsident John Kennedy während seines Besuchs in Berlin im Jahr 1963, als er sagte: „Ich bin ein Berliner, ich bin ein Berliner.“ Ich sage: „Ich bin ein Wittener!“
Gottes Segen möge Euch und Eure Familien stets begleiten.
(George Wolff am 24. Juni 2022 im Stadtarchiv Witten, übersetzt aus dem Amerikanischen v. Anneliese Hall)
Bild: George Wolff am 24.06.2022 in Witten; Foto: J. Fruck