Diese Ausstellung widmet sich der faszinierenden Entwicklung, die die Graffitikultur durchlaufen hat. Vom rebellischen Vandalismus im urbanen Raum hin zu anerkannten Kunstwerken in Museen. Sie zeigt die Evolution dieser Kunstform und beleuchtet die unerwartete Reise der Kunstschaffenden, die ihre Wurzeln im Graffiti haben. In den verschiedenen Perspektiven spiegeln die Werke die Transformation und den fortwährenden Dialog zwischen der urbanen Kultur und der etablierten Kunstwelt wider.
Post-Vandalismus als Begriff beschreibt die Transformation der Ästhetik von Graffiti, Sachbeschädigung, Protest und illegaler Aktionskunst auf der Straße hin zu einem musealen Kontext. Es geht um Kunstwerke, die die Aura von Urbanität in sich tragen und die Grenzen zwischen legaler und illegaler Kunst verwischen. Post-Vandalismus ist keine explizite Kunstrichtung, sondern eine Sammlung von ästhetischen Parallelen, die in verschiedenen Medien auftauchen. Malerei, Bildhauerei, Readymade, Installation oder Performance sind einige der Stilmittel, die Post-Vandalismus-Werke nutzen. Dabei spielen Farbe, Form, Material, Textur oder Bewegung eine wichtige Rolle. Der Begriff wurde in den letzten Jahren durch den Instagram-Account @post_vandalism bekannt gemacht, der von dem irischen Künstler und Kurator Stephen Burke betrieben wird.
Das verbindende Element aller hier ausgewählten werkschaffenden Personen ist der Ursprung im Graffiti aus dem Ruhrgebiet. Die Graffitikultur im Ruhrgebiet hat sich seit den 1980er-Jahren etabliert und ist heute ein wichtiger Bestandteil der urbanen Kunstszene. Die Praxis des Graffitis geht über die eigenmächtige Umgestaltung von privaten Häuserwänden oder Transportmitteln des öffentlichen Personennahverkehrs hinaus, welche im politischen sowie im öffentlichen Diskurs oft auf Schlagworte wie ‚Schmiererei‘ und ‚Vandalismus‘ reduziert wird. Als urbane Praxis heranwachsender Menschen geht es sowohl um die temporäre Aneignung von öffentlichem Raum im Sinne von Michel de Certeaus „Taktiken“ als auch um kreative Einschreibung in die Stadt – oder, in anderen Worten, die inneren und immer dagewesenen Wünsche des Menschen, etwas Bleibendes zu erschaffen und sich Wahrnehmung zu verschaffen. Dabei spielen Motive von sozialem Kapital und Teilhabe innerhalb der Subkultur sowie der Gesellschaft an sich genauso eine Rolle wie der Wille zur ornamentalen Veränderung von grauen Lebensräumen mit bunten Farben.
Es gibt jedoch auch eine Debatte darüber, ob Graffiti als Kunst oder Vandalismus betrachtet werden sollte. Einige Menschen sehen Graffiti als künstlerischen Ausdruck, während andere es als illegal und schädlich für die Umwelt betrachten. In den letzten Jahren hat sich jedoch eine neue Bewegung namens „Post-Vandalismus“ entwickelt, die Graffiti als legitime Kunstform ansieht. Diese Bewegung argumentiert, dass Graffiti eine Form der künstlerischen Freiheit ist und dass es einen Platz in der Kunstwelt verdient hat. Um diesen Begriff des „Post-Vandalismus“ weiterhin zu prägen und auf seine Relevanz für die zeitgenössischen Geschehnisse zu festigen, zeigen wir eine qualitativ hochwertige Auswahl an künstlerischen Positionen, die sich dafür öffnen, über ihre Arbeiten und Ansichten in der Öffentlichkeit zu kommunizieren und es schaffen, die Energie der Straße in den Innenraum zu transportieren, und einige, die damit schon international Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.
Teilnehmende:
Anne Brauer (*1989, Essen) ist multimediale Künstlerin in den Bereichen Fotografie und Illustration. Ihre Arbeiten sind stark geprägt von Urban Art und Graffiti. Unter ihrem bevorzugtem Thema der Dokumentation dieses Kosmos fängt sie, metaphorisch und poetisch arbeitend, Situationen innerhalb dieser Kultur ein, die sind, sein können oder geschehen werden. In Anlehnung an die Subjektive Fotografie verarbeitet sie dementsprechend ihren Hintergrund in künstlerisch-soziologischen Studien. Der Fokus ihrer Arbeiten liegt hierbei allerdings nicht auf dem Festhalten des vandalischen Aktes selbst, sondern berührt eher die mit einhergehende subjektive emotionale Tiefe, welche die Tat und das Geschehen darum herum begleitet. Mithilfe handwerklicher Verfremdung und Anonymisierung im Medium der analogen Fotografie schafft sie, in zeitweilig fast malerischer Fasson, so Atmosphären, die verträumt und zart, aber auch energisch und rau zugleich wirken. Die hier gezeigten Fotografien sind eine Auswahl an konzeptionellen Arbeiten der letzten vier Jahre sowie Aufnahmen, die in ihrer Bildsprache mit den gängigen Werken brechen - angeblitzte Momentaufnahmen im Anschnitt zeigen die andere Seite der Graffitikultur: Das, was begleitend geschieht. Dabei liegt der Fokus stark auf einer weiblichen Sichtweise und dem Umgang und Behaupten in einer männlich dominier- ten Subkultur.
Instagram: @a_______mour
Herr Choko ist ein Künstler, der für seine Fotografien, Grafiken und Malereien mit der Sprühdose bekannt ist. Seine Zeit als Dokumentarfotograf in der Graffitiszene prägte seine künstlerische Entwicklung maßgeblich, indem er die Größen dieser Kultur begleitete und wertvolle Einblicke in deren Techniken gewann. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine klare Formsprache und eine reduzierte Farbpalette aus. Herr Choko arbeitet ausschließlich mit der Technik der Sprühdose, limitiert auf schwarz und weiß, und zeigt damit kontrastreiche Facetten in collagierten Details auf Papier, Leinwand und Malgründen aus dem urbanen Raum. Durch Anordnung und Harmonie werden hier die für den nichts ahnenden Betrachter definierten „Schmierereien“ zu anspruchsvollen Ausschnitten der doch so ehrlichen Sprache der Straße. Auch wenn die Arbeiten zunächst sehr technisch scheinen, erkennt man bei näherer Betrachtung politische, wissenschaftliche, psychologische und naturalistische Einflüsse.
Instagram: @herr_choko
Jan Birkenwald (geb. 1989) lebt und arbeitet in Dortmund. Er studierte Kunst an der TU Dortmund mit dem Schwerpunkt Malerei und Grafik (MA) und ist seit seiner Jugend aktiver Teil der Graffitibewegung. Die Serie „Aktualisierungen“ entstand über mehrere Jahre und dokumentiert den experimentellen Umgang mit Tusche auf 265g Bambuspapier (30 x 40 cm). Der Fokus liegt auf der Veränderung von Formen, die entstehen, wenn Wasser auf das Papier trifft. Die Spannung des Wassers wird durch den Kontakt mit Tusche teils gezielt, teils zufällig aufgelöst. Der künstlerische Prozess besteht aus mehreren „Aktualisierungen“, die zu einem Gesamtbild verschmelzen. Das Endergebnis entsteht in einem dialektischen Spannungsfeld zwischen Zufall und Planung und spiegelt weniger die Idee eines bewussten Designs wider als vielmehr ein „in die Welt geworfen Sein“. Das Werk thematisiert die prozesshafte Veränderung von Raum als Virtualität. Durch den Dialog zwischen grafischen und virtuellen Bildlösungen werden Aktualisierungen auf die Leinwand übertragen. Jedes Bild wird als Fenster in eine virtuelle Welt verstanden, in der Veränderungen der Oberfläche sichtbar gemacht werden. Figuren entstehen wie Avatare oder NPCs und Objekte werden wie Frames in einer Spielwelt festgehalten. Die Parallelen zwischen analogen und digitalen Schöpfungsprozessen reflektieren die Frage, wie sich Materie in beiden Welten verhält und wie Bildwelten zwischen Natur und kultureller Entwicklung entstehen. Birkenwalds Werk spiegelt subkulturelle Einflüsse der 90er- und 00er-Jahre wider, die seine Jugend prägten. Diese Zeit wird als prägender Lebensabschnitt verstanden, in dem intensive Erfahrungen Raum und Zeit beeinflussen. Das grafische Werk dient als „Labor“ für die Entwicklung eines individuellen Ausdrucks in Gestik und Form, inspiriert von fantastischen Gegenständen, Konstrukten und Landschaften.
Instagram: @jan_birkenwald
Mason (RIO) ist seit Mitte der 1980er-Jahre im Bereich Graffiti aktiv und gehört zu den profiliertesten Protagonisten dieser Kunstform. Der Graffiti-Künstler ist bekannt für seine Affinität zu einem grafischen Duktus mit geometrischen Merkmalen und typografischen Konstruktionen. Seine kontinuierliche Orientierung an fast mathematischen Strukturen ist stark von seinem Vater beeinflusst, der Architekt war, ein Erbe, aus dem er bis heute schöpft. Mit seinem eigenen Namen als Kern und Medium seiner Werke schafft er typografische Konstruktionen, die bestimmten Regeln folgen, wie der gleichmäßigen Breite der Balken und den Abständen zwischen ihnen, um eine möglichst harmonische Symbiose der Buchstaben zu erreichen.
Instagram: @mason.tfp
Website: shop.mason.de
Mathias Weinfurter (geb. 1989) lebt und arbeitet in Köln und Darmstadt. Er studierte Kunst an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main und an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem. In den vergangenen Jahren zeigte er seine Arbeiten unter anderem in Ausstellungen bei Ruttkowski;68, in der arthotek und in der Moltkerei Werkstatt in Köln, im Kunstverein Bellevue-Saal in Wiesbaden, in der Kressmann-Halle in Offenbach am Main, sowie im Bistro 21 in Leipzig und er nahm an AiR-Programmen in Belgrad, in der Ukraine, in Südafrika, in Südkorea und in Kolumbien teil. Ausgezeichnet wurde seine Arbeit wurde unter anderem durch das Friedrich-Vordemberge-Stipendium der Stadt Köln, das Charlotte-Prinz-Stipendium der Stadt Darmstadt sowie Stipendien der Stiftung Kunstfonds und der Kunststiftung NRW. Seit 2022 betätigt er sich als Redakteur für das PFFF Journal – Magazin für Graffiti, Kunst und Kultur.
Instagram: @mathiasweinfurter
Website: mathiasweinfurter.de